Wohnungsverlust und „Arisierung“

Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das NS-Regime im März 1938 veränderte sich das Leben der Wiener jüdischen Bevölkerung innerhalb kurzer Zeit. Besonders in Wien hatte die so genannte „Arisierung“, also die Enteignung und Entrechtung von den nach den Nürnberger Gesetzen als jüdisch geltenden Menschen, eine enorme Geschwindigkeit. Darüberhinaus herrschte seit den 1930er Jahren in Wien eine Wohnungsknappheit, die die „wilden Arisierungen" und deren Schnelligkeit erklären könnten. Die so genannten „wilden Arisierungen" wurden durch Nachbarn oder Wohnungsneider initiiert, die ihre jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger bei der Wohnungsverwaltung anzeigten, aus den Wohnungen trieben und sich selbst dort einnisteten. Ab dem 14. Juni 1938, drei Monate nach dem „Anschluss", gab es die ersten amtlichen Kündigungen aus den Gemeindebauten mit dem Grund „Nichtarier". Bis September 1938 waren schon 1225 Wohnungen auf diese Art geräumt worden, bis Ende des Jahres waren alle jüdischen Mieterinnen und Mieter aus den Gemeindebauten gekündigt.

Im Frühjahr 1939 begann die sogenannte „Judenumsiedlungsaktion" in Wien. Innerhalb von wenigen Monaten wurden von der Stadt Wien 13.600 Aufforderungen an „arische" Hauseigentümer verschickt, ihre jüdischen Mieterinnen und Mieter zu kündigen. Die als jüdisch Verfolgten sollten in Mietshäuser mit jüdischen Vermieterinnen und Vermietern umziehen, diese befanden sich besonders im 1.,2.,9. und 20. Bezirk. Auf diesem Weg verloren zwischen März und September 1939 5.572 Familien ihre Wohnungen in Wien.

Es folgte am 30. April 1940 das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“, mit welchem der Mieterschutz zwischen „arischen“ Mieterinnen und Mietern und den als jüdisch Verfolgten aufgehoben wurde. Im Anschluss daran folgte am 30. September 1940 per Reichsgesetz die vollständige Aufhebung des Mieterschutzes für Jüdinnen und Juden. Durchgeführt wurde dies vom städtischen Wohnungsamt, in der eine eigene Abteilung „Gruppe Judenumsiedlung“ gegründet worden war, diese forderte Hausverwaltungen, Mieterinnen und Mieter schriftlich auf, den jüdischen Mieterinnen und Mietern zu kündigen. Diese Maßnahmen hatten zur Folge, dass die jüdische Bevölkerung innerhalb von zwei Jahren ihren Wohnraum in Wien verloren.

Die VUGESTA (Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Geheimen Staatspolizei) war eine Organisation, die das Umzugsgut „verwertete“, wie es in der NS-Sprache hieß. Sie bekam nach den Wohnungsräumungen durch die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) alle wertvollen Möbel und Einrichtungsgegenstände zum Weiterverkauf, an der auch das staatseigene Pfandhaus „Dorotheum“ in Österreich beteiligt war.

Quelle:

Michaela Raggam-Blesch, "Sammelwohnungen” für Jüdinnen und Juden als Zwischenstation vor der Deportation, Wien 1938 - 1942. In: DÖW (Hg.), Jahrbuch 2018: Forschungen zu Vertreibung und Holocaust (Wien 2018) bzw. M. RAGGAM-BLESCH, 2018. S. 97.