Maly Trascjanec in der sowjetischen Erinnerungskultur
Das Vernichtungslager Maly Trascjanec war während des Zweiten Weltkrieges eine der größten Vernichtungsstätten in dem von den Nationalsozialisten besetzten Gebiet der Sowjetunion.1 Einheimische Jüdinnen und Juden aus dem Minsker Ghetto, sowie deportierte Jüdinnen und Juden aus Deutschland und Österreich bildeten neben Insass:innen der Minsker Gefängnisse und als Partisanen verdächtigte Personen die Hauptopfergruppe.2
Unmittelbar nach der Befreiung von Minsk im Juli 1944 wurden die umliegenden nationalsozialistischen Exekutionsstätten durch die Außerordentliche Staatliche Komission der Sowjetunion (ČKG) untersucht.4 Die ČGK schätzte, dass allein bei der Verbrennung der Scheune auf dem Gelände des Lagers befand 6.500 Personen ermordet wurden. Für die Erschießungsstätte Blahaǔščyna ermittelte die Außerordentliche Komission 150.000 Opfer.5 Diese Zahlen sind bis heute umstritten und Gegenstand der wissenschaftlichen Debatte.6 Die Tatsache, dass tausende jüdische Menschen bei Maly Trascjanec ermordet wurden, wurde von den Sachbearbeiter:innen der ČKG kaum beachtet. In ihrer Abschlussakte schreiben die Sachbearbeiter:innen daher lediglich von friedlichen Zivilist:innen und Kriegsgefangenen aus Minsk, die von den deutschen Besatzern ermordet wurden.7
Die Ergebnisse der Kommission prägten die Erinnerung an Maly Tracjanec in der Sowjetunion und später in Belarus nachhaltig. Wissenschaftler:innen und Journalist:innen nutzten den Bericht der ČGK, in dem der Völkermord an Jüdinnen und Juden ausgespart wurde, als Grundlage für ihre eigenen Veröffentlichungen.8 Das erste Objekt, das an den Holocaust in Minsk erinnerte, war ein Obelisk. Er wurde 1947 an der "Yama" (belarusisch für: „Grube“) aufgestellt und erinnert auf russischer und hebräischer Sprache an 5.000 Jüdinnen und Juden, die hier im Jahr 1942 ermordet wurden. Das Ganze geschah ohne die Genehmigung der zuständigen Behörden; der Architekt und Autor der Inschrift wurde verhaftet.9
Problematisch für die Erinnerung an Maly Trascjanec während der sowjetischen Zeit war, dass es nicht in die gängige Erzählung vom heldenhaften Widerstand gegen die nationalsozialistischen Besatzer passte. An anderen Gedenkorten in Minsk, die sich auf den „Großen Vaterländischen Krieg“ bezogen, wurde dem Heroismus der gefallenen Soldaten gedacht.10 In Maly Trascjanec gab es jedoch keinerlei Belege für eine Gegenwehr der Opfer. Die Erinnerung an Maly Trascjanec geriet daher in den Hintergrund und in Vergessenheit. Mahnmale aus den 60er Jahren in Maly Trascjanec, Vjaliki Trascjanec und Šaškoŭka boten nur karge Angaben über die geschehenen Verbrechen und ließen Jüdinnen und Juden als Opfergruppe aus.11
1 Vgl. IBB Dortmund/IBB Minsk, Vernichtunsgsort Malyj Trostenez, S. 31.
2 Vgl. Rentrop-Koch, Landgut als Vernichtungsstätte, S. 155.
3 Vgl. Dalhouski, Zur Transformation des sowjetischen Gedenkortes, S. 118.
4 Vgl. ebd.
5 Kohl, Vernichtungslager Trostenez, S. 20; Rentrop, Tatorte der Endlösung, S. 226f.
6 Vgl. Marples/Laputska, Maly Traścianiec in the Context of Current Narratives, S. 17.
7 Vgl. Dalhouski, Zur Transformation des sowjetischen Gedenkortes, S. 119f.
8 Vgl. ebd., S. 120.
9 Vgl. Marples/Laputska, Maly Traścianiec in the Context of Current Narratives, S. 4f.
10 Vgl. Dalhouski, Zur Transformation des sowjetischen Gedenkortes, S. 121f.
11 Vgl. ebd.